Donnerstag, 5. November 2009

Emotionale Achterbahn

Eigentlich wollte ich euch von der großen Op am Dienstag schreiben. Hab mir sogar extra ein Post-It Zettel an meine Wand geklebt, um es nicht zu vergessen. Aber es sollte anders kommen. Naja gut, so anders ist jetzt auch nicht gekommen, immerhin sitze ich an meinem Laptop und schreibe.
Es ist 10.00 Uhr. Mir fällt ein Mann mir rosa Läsionen im Gesicht auf, der auf der Wartebank sitzt und darauf wartet von Dag behandelt zu werden. Patienten mit großen Schwellungen, Kieferbrüchen oder ähnlichem werden gleich von Anfang an von Dag untersucht, damit er auch die Nachuntersuchungen vornehmen kann, die sich manchmal sogar über Monate erstrecken können. Die anderen Zahnärzte sind ja immer nur für kurze Zeit bei uns. Ich sah auch, dass er seinen verbundenen rechten Arm mit der linken Hand hielt.
Er war der nächste. Auf seinen Röntgenbildern, die er im Krankenhaus machen lassen hat konnten wir sehen, dass sein Oberarm und sein Kiefer gebrochen ist. Der Oberarm war wie ein Stück Holz richtig durchgebrochen und sein Kiefer sah nicht anders aus. Mir kamen die Tränen als er uns erzählte, dass „irgendjemand/ Medizinmann“ die Knochen zurecht geknickt hat. Was für Schmerzen müssen das gewesen sein, bzw. unter was für Schmerzen muss er gerade leiden! Anschliessend wurde nur ein Verband mit 2 Schienen um den Arm gewickelt und das war´s. Vielleicht wurde der Arm auch noch mit ein wenig Salbe eingecremt. Aufjedenfall war sein ganzer Unterarm bis zu den Fingerspitzen angeschwollen. Die Haut war so prall, mein lieber Scholli.
Nach einigen Überlegungen und Telefonaten mit unserem Schiff haben wir uns entschlossen, ihn auf unseren Zahnarztstuhl auf dem Schiff zu operieren. Die OP-Säle seien alle besetzt. Keine Chance. Aber besser ihn auf dem Schiff operieren, als in unserer Zahnklinik.
Freitag. 12.00 Uhr. Der Patient, ein Übersetzer und ich machen uns auf dem Weg von der Zahnklinik zum Schiff. Und wisst ihr was? Ein OP-Saal wurde frei und wir haben sogar Anästhesisten zur Seite gestellt bekommen. Es hört sich jetzt vielleicht ein wenig krass an, aber leider ist das die Realität. Kommen die Patienten zu uns in die Zahnklinik und wir machen dort auch die Operation, dann nur in lokaler Anästhesie. Der Patient ist also völlig wach, während wir an seinem Knochen rumbohren.
Letztendlich war dann doch ein OP-Saal frei und wir könnten ihn in Dämmerschlaf versetzen. Nicht nur entspannter für den Patienten, sondern auch für den Operateur.
2 Stahlplatten und mehreren Schrauben später lag er dann im Aufwachraum. Wir wussten immer noch nicht, was wir mit dem Arm machen sollen. Ich war ratlos. Wir hatten keinen Orthopäden mehr an Bord, den man hätte fragen können.
Ich ging emotional von einem Stadium ins nächste. Erkennen der Not; willensbereit, etwas zu tun; feststellen, dass wir nichts machen können; zweifeln, dass alles geben nicht genug ist; akzeptieren, dass ich da nichts dran ändern kann; verärgert sein, dass es so ist; entspannen und alles in Jesu Hände legen; Ungeduld, weil nicht sofort etwas passiert. Naja, und dann ist man wieder am Anfang angekommen. Aber Jesus wäre ja nicht Jesus, wenn ER nicht alles überschauen würde und einen Plan hat. Es war inzwischen Abend und meine Freundin lief gerade den Gang entlang, als ich meinen Kopf durch den Türspalt steckte. Sie hat jahrelang als Krankenschwester in einer orthopädischen Klinik gearbeitet und wusste, wie man den Arm behandeln kann. Sie schaute sich also den Arm an, meinte, es wäre nicht so schlimm, wie es aussieht, er müsse ihn nur gescheit hochlagern. Gesagt, getan. Arm-Schlingen-Technik erklärt, geübt, ausgeführt und Patient mit verbundenen Arm glücklich nachhause gebracht.
Inzwischen kam er noch einmal zur Kontrolle vorbei und die Schwellung ist doch tatsächlich zurückgegangen. Sein Handgelenk war als solches wieder sichtbar. Und abgesehen von den Wundschmerzen, geht es ihm auch schon viel besser.

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